| Ein Artikel von Alexander Mages |

Strategische Grundlagen für ERP-Projekte in der technischen Wertschöpfung

Werner Müller, Geschäftsführer eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, saß an einem Montagmorgen in seinem Büro und betrachtete nachdenklich die Auswertung des vergangenen Quartals. Die Zahlen waren solide, aber was ihn wirklich beunruhigte, waren die zunehmenden Signale aus verschiedenen Unternehmensbereichen: Die Konstruktionsabteilung beklagte die langsamen Freigabeprozesse, die Servicetechniker konnten unterwegs nicht auf aktuelle Maschinendaten zugreifen, und der Vertrieb verlor Aufträge, weil Lieferzeiten nicht verlässlich kommuniziert werden konnten.

In einer anderen Stadt stand Claudia Schneider, Leiterin eines wachsenden Handelsunternehmens für technische Ersatzteile, vor ähnlichen Herausforderungen. Ihre Kunden erwarteten mittlerweile Echtzeit-Verfügbarkeitsanzeigen, Online-Bestellmöglichkeiten mit technischer Produktidentifikation und verlässliche Lieferzusagen – Anforderungen, die ihr fragmentiertes IT-System nicht erfüllen konnte.

Beide Führungskräfte standen vor einer entscheidenden Frage: Wie gestaltet man ein ERP-Projekt, das nicht nur aktuelle Probleme löst, sondern das Unternehmen zukunftssicher aufstellt?

Warum ERP-Projekte in der technischen Wertschöpfung besonders sind

Unternehmen, die technische Produkte herstellen oder vertreiben, stehen vor besonderen Herausforderungen bei der Einführung oder Modernisierung ihrer ERP-Systeme. Anders als in vielen anderen Branchen geht es hier nicht nur um die Digitalisierung kaufmännischer Prozesse, sondern um die Integration komplexer technischer Daten und Abläufe.

"ERP-Projekte im technischen Umfeld scheitern häufig nicht an der Technologie, sondern an mangelndem Verständnis für die Besonderheiten technischer Geschäftsmodelle", erläutert eine aktuelle VDMA-Studie zur Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau [1]. Die Komplexität entsteht vor allem durch:

  • Umfangreiche technische Stammdaten (Stücklisten, Zeichnungen, Spezifikationen)

  • Vielfältige Produktvarianten und Konfigurationsmöglichkeiten

  • Hohe Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit und Dokumentation

  • Die Notwendigkeit, technische und kaufmännische Prozesse zu integrieren

Diese Faktoren machen aus einem ERP-Projekt weit mehr als eine reine IT-Initiative: Es handelt sich um eine unternehmensweite Transformation, die nur mit einer durchdachten Strategie gelingen kann.

Die Vision als strategischer Kompass

Der erste und wichtigste Schritt eines erfolgreichen ERP-Projekts ist die Entwicklung einer klaren Vision, die technische und geschäftliche Ziele verbindet. Gerade in ingenieur- und technikergeprägten Unternehmen besteht die Gefahr, dass der Fokus zu sehr auf funktionalen Details liegt, während das große Bild aus dem Blick gerät.

Eine gelungene ERP-Vision für technische Unternehmen verbindet typischerweise folgende Elemente:

  1. Geschäftliche Transformation: Wie soll das ERP-System neue Geschäftsmodelle oder verbesserte Kundenerlebnisse ermöglichen?
  2. Technische Integration: Wie werden technische Daten und Prozesse nahtlos in die Geschäftsabläufe integriert?
  3. Zukunftssicherheit: Wie stellt das System sicher, dass das Unternehmen auf technologische Trends wie IoT oder digitale Zwillinge vorbereitet ist?

Entscheidend ist dabei, dass die Vision von der Geschäftsführung getragen und aktiv kommuniziert wird. "Ein ERP-Projekt ohne klares Commitment der Unternehmensleitung ist zum Scheitern verurteilt", betont Alexander Mages im B2B-Talks Podcast "Kritische Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsprojekten in Unternehmen" [2].

Transformationsansätze: Brownfield oder Greenfield?

Für technisch orientierte Unternehmen stellt sich die Frage, ob sie auf bestehenden Systemen aufbauen (Brownfield) oder einen kompletten Neuanfang wagen (Greenfield). Beide Ansätze haben ihre Berechtigung:

Brownfield-Ansatz

  • Stärken: Erhalt bewährter Prozesse, geringere Umstellungsrisiken, kürzere Implementierungszeit

  • Schwächen: Potenzial für echte Prozessoptimierung begrenzt, Altlasten können bestehen bleiben

  • Typisches Szenario: Unternehmen mit funktionierenden Kernprozessen, die gezielt einzelne Bereiche modernisieren wollen

Greenfield-Ansatz

  • Stärken: Chance auf fundamentale Prozessverbesserungen, Umsetzung von Best Practices, Abbau historisch gewachsener Ineffizienzen

  • Schwächen: Höheres Risiko, längere Implementierungszeit, größerer Change-Management-Aufwand

  • Typisches Szenario: Unternehmen mit veralteten Systemen oder bei grundlegender strategischer Neuausrichtung

Eine McKinsey-Studie zeigt, dass erfolgreiche ERP-Transformationen im technischen Bereich häufig einen hybriden Ansatz verfolgen: Sie kombinieren die Stabilität des Brownfield-Ansatzes für kritische Kernprozesse mit der Innovation des Greenfield-Ansatzes für Wachstumsbereiche [3].

In der Praxis bewährt sich oft ein stufenweiser Ansatz, wie wir ihn auch häufig in unseren Kundenprojekten verfolgen. Dabei werden Kernsysteme schrittweise modernisiert, während gleichzeitig neue Funktionalitäten über moderne Schnittstellen angebunden werden.

Greenfield vs. Brownfield: Transformationsansätze für ERP-Projekte Greenfield vs. Brownfield: Transformationsansätze für ERP-Projekte

Risiken frühzeitig erkennen und steuern

Die Einführung eines ERP-Systems in technisch orientierten Unternehmen birgt spezifische Risiken, die frühzeitig adressiert werden müssen. Typische Stolpersteine sind:

  1. Komplexität der technischen Stammdaten: Unvollständige oder inkonsistente Daten können zu erheblichen Problemen führen. Eine aktuelle Studie von Gartner zeigt, dass Datenqualitätsprobleme bei 60% aller ERP-Projekte zu Verzögerungen führen [4].
  2. Überkomplexe Anforderungen: Vor allem produzierende Unternehmen neigen dazu, zu viele Sonderanforderungen zu definieren, die das System überfrachten. Hier gilt das Prinzip der "wertstiftenden Vereinfachung", das auf einer realistischen Kosten-Nutzen-Bewertung basiert.
  3. Integrationsprobleme mit technischen Spezialsystemen: CAD, PLM oder MES-Systeme müssen nahtlos mit dem ERP zusammenarbeiten – eine technische und organisatorische Herausforderung.
  4. Kulturelle Widerstände: Gerade in ingenieurgeprägten Kulturen gibt es oft Vorbehalte gegen standardisierte Prozesse und zentrale Datenstrukturen.

Ein systematisches Risikomanagement umfasst die regelmäßige Identifikation, Bewertung und Steuerung dieser projektspezifischen Risiken. Hierfür hat sich der Einsatz eines strukturierten Risikoregisters bewährt, das kontinuierlich aktualisiert wird.

"Ein proaktives Risikomanagement unterscheidet erfolgreiche von gescheiterten ERP-Projekten. Es geht nicht darum, Risiken zu vermeiden, sondern sie bewusst zu managen."

Alexander Mages, Gründer und Geschäftsführer der Mages Consulting GmbH

Der richtige Methodenmix: Klassisch, agil oder hybrid?

Die Wahl der Projektmethodik ist von strategischer Bedeutung und muss zur Unternehmenskultur sowie den Projektzielen passen. Für technisch orientierte Unternehmen haben sich verschiedene Ansätze bewährt:

Klassischer Ansatz (Wasserfall)

  • Vorteile: Klare Phasen, detaillierte Dokumentation, kontrollierte Qualitätssicherung

  • Nachteile: Lange Vorlaufzeiten, spätes Feedback, geringe Flexibilität

  • Empfehlung: Geeignet für stark regulierte Umgebungen oder wenn Compliance-Anforderungen im Vordergrund stehen

Agiler Ansatz

  • Vorteile: Frühes Feedback, schnelle Anpassungsfähigkeit, inkrementeller Wertbeitrag

  • Nachteile: Herausfordernd für traditionelle Organisationsstrukturen, Gefahr der unzureichenden Gesamtplanung

  • Empfehlung: Gut geeignet für innovative Bereiche und Unternehmen mit flexiblen Strukturen

Hybrider Ansatz

  • Vorteile: Kombination aus Planungssicherheit und Flexibilität, pragmatische Umsetzbarkeit

  • Nachteile: Höhere Komplexität im Projektmanagement

  • Empfehlung: Meist die beste Wahl für mittelständische technische Unternehmen

Ein Beispiel für erfolgreiche hybride Implementierung ist das von SAP entwickelte Activate-Framework, das klassische Phasen mit agilen Sprints kombiniert und speziell für komplexe technische Umgebungen optimiert wurde [5].

In der Praxis zeigt sich, dass es weniger auf die gewählte Methodik ankommt als auf deren konsequente und passende Anwendung. "Die Methode sollte dem Projekt dienen, nicht umgekehrt", ist dementsprechend das Credo, mit dem wir bei Mages Consulting unsere Projekte angehen.

Der erste Schritt zur erfolgreichen Strategie

Wie gehen Verantwortliche in technisch orientierten Unternehmen nun strategisch vor? Wir empfehlen einen strukturierten Ansatz mit folgenden Schritten:

  1. Strategieworkshop mit dem Management: Entwicklung einer klaren Vision und Zieldefinition
  2. Strukturierte Ist-Analyse: Bewertung bestehender Prozesse und Systeme
  3. Transformationsstrategie: Entscheidung über Brownfield, Greenfield oder hybriden Ansatz
  4. Risikobewertung: Identifikation unternehmensspezifischer Risiken und Gegenmaßnahmen
  5. Methodenauswahl: Festlegung der passenden Projektmethodik

Erst auf dieser strategischen Grundlage sollten technische Anforderungen definiert und potenzielle Systemanbieter evaluiert werden – ein Thema, das wir im nächsten Teil unserer Serie vertiefen werden.

Fünf Schritte zur erfolgreichen ERP-Strategie Fünf Schritte zur erfolgreichen ERP-Strategie

Fazit: Die Weichen richtig stellen

Die strategische Weichenstellung ist der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einem erfolgreichen ERP-Projekt in technisch orientierten Unternehmen. Mit einer klaren Vision, einem passenden Transformationsansatz und einem effektiven Risikomanagement schaffen Sie die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung Ihrer technischen Wertschöpfungskette.

Die Investition in diese strategische Vorarbeit zahlt sich in jeder Phase des Projekts aus und ist der beste Schutz gegen kostspielige Fehlentwicklungen und Projektverzögerungen.

In unserem nächsten Artikel erfahren Sie, wie Sie die richtige Projektorganisation aufbauen und alle Beteiligten von Anfang an mitnehmen – ein entscheidender Faktor für den Projekterfolg in technisch geprägten Unternehmenskulturen.

Sie stehen vor der Herausforderung, ein ERP-Projekt strategisch aufzusetzen?

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Quellen

[1] VDMA-Studie: "Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau", 2023
[2] Kritische Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsprojekten | Mages Consulting - Mages Consulting
[3] McKinsey & Company: "Unlocking success in digital transformations", 2022
[4] Gartner Research: "ERP Implementation Challenges", 2023
[5] SAP: "SAP Activate Methodology", 2023

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Alexander Mages ist Gründer der Mages Consulting GmbH und Diplominformatiker.

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Alexander Mages ist Gründer der Mages Consulting GmbH und Diplominformatiker. Er ist der Mastermind und verfügt über zehn Jahre Praxiserfahrung in der Digitalisierung. Aber auch methodisch ist er als zertifizierter Berater, Projektleiter und Anforderungsanalyst bestens aufgestellt. Seine Freizeit verbringt Alexander am liebsten mit seiner Familie und in der Ruhe beim Fahrradfahren.